Montag, 9. Juli 2018

Drei Tage und zwei Nächte Biskaya - Planung und Realität

Camaret sur Mer – A Coruna 364,2 sm, gesamt 1.213,3 sm

Die Planungsgedanken der Biskayaüberquerung sind im letzten Blogeintrag zusammengefasst. Nun geht es darum, diese in die Realität umzusetzen. Am Donnerstagmorgen gegen 0900h wollen wir auslaufen und in die Realität der Biskayaüberquerung eintauchen. Damit soll ein großer Wunsch von Sven in Erfüllung gehen. Der Abend vorher ist lau und sonnig. Wen stört da schon die Wettervorhersage, dass es in der Nacht regnen soll. Der nächste Morgen wird sicherlich so wie der letzte Abend...

Allerdings ist die Realität anders. Am nächsten Morgen ist es so grau, feucht und dunstig, dass mir Zweifel kommen, ob ein Auslaufen überhaupt sinnvoll ist, erst recht unter Berücksichtigung des Vorhabens, die Biskaya zu überqueren. 


Die Sicht beträgt max. ¼ Meile. Andrea und Andreas mit Freund auf ihrer Contest 36 Lady Jeane sind allerdings so mitreißend (es ist ihre dritte Biskayaüberquerung), dass dies auf uns abfärbt. Also werden alle Knöpfe gezogen und Geräte angestellt, die das eigene Sehen und das Gesehen werden unterstützen: Plotter, Radar, aktiver Radarwarner, UKW-Seefunk, Beleuchtung. Mehr geht kaum. Die Sicht bleibt über Stunden mehr oder weniger schlecht – ich kann es auch einfach Nebel nennen, und immer wieder tauchen wie aus dem Nichts Fischerboote oder andere Segler auf. Beruhigend dabei ist, dass wir nicht als Einzige unterwegs sind. Gegen 1200h erreichen wir Cap du Raz, das letzte Race auf diesem Reiseabschnitt. Vom Cap und den vorgelagerten Inseln ist nichts zu sehen. Wir passieren das Race mit ablaufendem Wasser, so dass die Wellen mäßig sind. Nach gut 30 Minuten sind wir aus der Kabbelsee und die Biskaya liegt offen vor uns. Nun wäre die letzte Möglichkeit, wegen der weiterhin schlechten Sichtverhältnisse abzudrehen und einen Festlandshafen anzulaufen. Eine Funkrunde zur Abstimmung und zum Erfahrungsaustausch mit Lady Jeane ermutigt, doch weiter zu segeln. Ihre Empfehlung war richtig, dass sich der Nebel auf dem offenen Wasser auflösen wird.

Um uns herum ist zwar alles weiterhin grau in den verschiedensten Abstufungen. Der Wind hat sich mit W 4 Bft. durchgesetzt, so dass wir mit 70° Windwinkel auf Kurs 210° die volle Beseglung noch gut tragen können. Ab 1400h haben sich die Sichtverhältnisse soweit verbessert, dass wir einen Horizont erkennen können. Nach dem anstrengenden Start hatte ich mich auf die Salonkoje zum Entspannen gelegt, als Sven sich meldete und ein Reff im Großsegel fordert. Klasse Hinweis an den Schläfer, aktiv zu werden, da der Wind zugenommen hat. Mit einem Reff segelt es sich besser. Einige Zeit später begleiten uns die ersten Delfine und begrüßen den Häwelmann und seine Crew auf dem Atlantik. Klares Zeichen: Wir haben den Englischen Kanal hinter uns gelassen und sind nun auf dem Atlantik angekommen. Sie wünschen uns eine gute Reise. Nun möchten wir auch gern das legendäre blaue Wasser sehen, das „Blauwassersegeln“ ausmacht. 

Gegen 2000h rollen wir das Vorsegel ein, da Wind und Wellen für sehr viel Schiffsbewegung sorgen. Dies ist mit einer Abendmahlzeit schwer vereinbar. Auch wird es in gut zwei Stunden dunkel. Für die Nacht bevorzugen wir eher kleine Segelflächen. Unser Schlafgewohnheiten nehmen wir in die Wachaufteilung mit: Sven geht eher früher schlafen und wacht früh wieder auf. Bei mir ist es umgekehrt. Daher übernehme ich die Wache bis nach Mitternacht. Etwas unheimlich ist es, mit 7 bis 8 Knoten durch die wegen der dichten Bewölkung stockdunkle Nacht zu rauschen. Dennoch rolle ich das Vorsegel zu 1/3 aus, damit wir bei dem leicht abnehmenden Wind weiterhin gut vorankommen. Auch sorgt mehr Fahrt im Schiff dafür, dass es in den Wellen ruhiger liegt. Dies liegt daran, dass die Wellen langsamer unter dem Häwelmann durchrollen und er somit nicht so schnell aus dem Gleichgewicht kommt. Auf dem Plotter sind keine Schiffe mit AIS-Sender zu sehen. Hoffentlich sind auch keine ohne Sender unterwegs... Da wir noch auf dem Festlandssockel mit Wassertiefen um 200 Meter unterwegs sind, könnten noch vereinzelt Fischerbojen liegen. Zum Glück ist aber alles frei.

Gegen 0400h am Freitag, 06.07.2018, wechselt Sven mich ab und ich kann auf der Leekoje im Salon herrlich schlafen, auch wenn der Schlaf deutlich leichter ist als in der Koje im Hafen. Gegen 0600h erreicht uns das angekündigte Flautengebiet. Der Motor muss ‘ran. Zur Stabilisierung gegen die Rollbewegungen des Häwelmann wegen der von Westen anrollenden Atlantikdünung lassen wir das einfach gereffte Großsegel stehen. Erholsam ist, dass keiner von uns über Stunden an der Pinne sitzen muss, um zu steuern. Dies übernimmt seit dem Mittag des vergangenen Tages „Sir Henry“. Dies ist der von Freundin Nele so getaufte eingebaute Autopilot. Er versieht seinen Dienst absolut dezent, klaglos, ohne Ausfälle, pausenlos und mit wenig Energieaufwand fährt er über die Vernetzung mit dem Plotter direkt den eingegebenen Wegepunkt und damit das Ziel an. Auf den ersten Blick mag es verwunderlich sein, da doch das effektive Steuern eines Bootes, insbesondere unter Segeln, eine der Hauptherausforderungen beim Segeln ist. Das ist natürlich richtig, gilt aber nicht bei mehrtätigen Törns, da dies mit kleiner Crew zu ermüdend wäre. Wir befinden uns schließlich im Tourenmodus.

Auf den sonnigen Tag folgt eine sternenklare relativ warme Nacht. 


Wir behalten unseren natürlichen Wachrhythmus bei. Der mit Sternen übersäte Himmel ohne Lichtsmog einer Großstadt ist wirklich beeindruckend, einschließlich der Sternschnuppen. Auch ist das etwas mulmige Gefühl verschwunden, durch die dunkle Nacht zu rasen, da deutlich mehr zu sehen ist. Inzwischen haben wir auch den Festlandssockel verlassen und befinden uns auf bis zu rd. 4.800 Metern Wassertiefe. Das Echolot ist ausgestellt, da es solche Tiefen nicht mehr messen und anzeigen kann.

Der Flauten-Freitag beschert uns Sonne und blauen Himmel. Die Biskaya ist platt wie ein Ententeich, abgesehen von leichter Dünung. 


Der Motor läuft gut 20 Stunden, bis sich am Sonnabend, 06.07.2018, gegen 0230h der angekündigte NE-Wind durchsetzt und wir wieder das Vorsegel ausrollen und die Maschine ausstellen können. Was für eine herrliche Ruhe. Es folgen 17 Stunden unter Segeln bei Sonnenschein und blauem Himmel mit mehren Besuchen von Delfinen. 


Schöner kann Segeln kaum sein. Das ist Blauwassersegeln!

Am Sonnabend haben wir um1940h in der Marina Real in A Coruna festgemacht. 


Damit haben wir in 58 ½ Stunden die Biskaya überquert. 
Im Schnitt haben wir –mit Motorunterstützung- rd. 6 sm pro Stunde zurückgelegt.
2/3 segelnd, 1/3 Motorfahrt. Die Dieselvorräte hätten wir nicht gebraucht.
Wir sind unter Berücksichtigung des natürlichen Schlafrhythmus von Sven und mir recht ausgeruht angekommen, so dass wir abends nach dem Duschen zum Tappas-Essen in die Altstadt gegangen sind.

Die Planung hat gestimmt. Der Wetterbericht war zuverlässig.

Der Häwelmann hat seine erste richtige Atlantikfahrt bestens gemeistert. Bei richtig abgestimmter Segelfläche und passender Geschwindigkeit liegt er trotz seiner für heutige Verhältnisse geringen Breite auch in höheren Wellen recht ruhig, so dass ein Leben an Bord gut möglich ist. Der von uns gewählte höhere Mast mit mehr Segelfläche erfordert ggf. etwas früheres verkleinern der Segelfläche, hat sich aber keinesfalls nachteilig ausgewirkt. Dafür können wir auch schon bei weinig Wind segeln, während andere noch unter Motor fahren. Besuchern an Bord, auch von größeren und breiteren Schiffen, fällt immer der viele Schrank- und Stauraum auf. Ansonsten spricht allein der bisherige erfolgreich zurückgelegte Weg ohne irgendwelche Ausfälle für seine Qualtäten. Zumal es immer heißt, dass Nordsee und Englischer Kanal der schwierigste Teil einer solchen Reise sind.

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